Artikel zum Thema "Gleitschirmfliegen und Luftraum"
Frage 1: Darf ich mich überhaupt zu diesem Thema äussern?
Am 13.Juni 2024 habe ich nach einem Start auf dem Weissenstein (CH) einen kurzen, aber dennoch bewussten Luftraumverstoss verübt (siehe mein Video https://youtu.be/aoEk8_k4UH4?feature=shared). Ich kann wirklich behaupten, dass ich ansonsten immer versuche, Lufträume nicht zu verletzen und es eigentlich sogar liebe, mich durch schwierige Luftraumstrukturen zu bewegen, denn mit XCTrack scheint mir das wirklich gut machbar.... Darum habe ich auf YouTube auch schon Videos zu diesem Thema veröffentlicht (https://youtu.be/eQbg8BHNbiI?si=H0OVzeG3r8TnR-mP).
Ja, und jetzt will ich Euch was zum Thema Luftraumverstösse erzählen? Nun, ich finde, das geht schon und ich bekenne damit eigentlich vor allem, dass dieses Thema kein einfaches ist und wie bei vielen anderen Problemen nur dann Lösungen zu erwarten sind, wenn wir uns ehrlich darüber unterhalten.....
Ich liess mich beim obigen Flug vor allem von den vielen anderen Piloten verleiten, die schon vor mir in den CTR Grenchen eingeflogen waren und redete mir ein, dass es aufgrund des stattfindenden Ligaanlasses vielleicht eine Absprache mit dem Flugplatz geben würde.... Unsinn natürlich, wie sich später herausstellte.
Es wäre aber nun wirklich zu billig, die "Schuld" auf die Anderen zu schieben, die vor mir schon den Luftraum missachtet haben! Ich wäre ihnen ja niemals nachgeflogen, wären sie dort alle am Absaufen gewesen. Letztlich war es die Tatsache, dass sie dort im für uns gesperrten Luftraum Thermik gefunden hatten und dem drohenden Absaufer entgehen konnten. Das war letztlich der Grund, dass ich mich mit einer entschuldigenden Annahme selbst belog, um einen Luftraumverstoss vor meinem Gewissen zu rechtfertigen. Aufgrund meines AIR3 und XCTrack war mir völlig klar, als ich in den CTR einflog, dass ich einen Luftraum verletzte...Auf das Thema Luftraumverletzungen möchte ich in diesem Beitrag eingehen.
Frage 2: Wie beurteilst Du einen Luftraumverstoss?
Im SWISS GLIDER gab es diesen Herbst einen Artikel zu der Verärgerung am Flugplatz Grenchen, die durch die teils massiven und unzähligen Luftraumverstösse im CTR Grenchen vom 13.6.24 hervorgerufen wurde. Der Luftverkehrsleiter unten am Platz sah sich sogar genötigt, den Flugbetrieb mehrfach auszusetzen, obwohl ein internationaler Fallschirmspringeranlass stattfand.
Die grosse Frage ist nun, was wir - jeder und jede einzelne - zu dieser Sache denken... "War das jetzt einfach ein bisschen blöd für die, dass sie nicht ungestört starten und landen konnten? Oder war das mehr?"
Ja und die wichtigste Frage: "Ist das nun eine Art von Kavaliersdelikt, wenn man sich mal nicht an die Luftraumregeln hält, oder ist das mehr?"
These: Es geht um unser grundsätzliches (Ein)Verständnis mit allgemeinen Regeln
Durch gesellschaftliche Regeln und Gesetze wird unser Leben eingeschränkt. Nicht alle Regeln sind nachvollziehbar und sicher gibt es auch Regeln, von denen man sich befreien darf oder sollte. Nichts dagegen einzuwenden, solange andere Menschen oder Leben im allgemeinen davon nicht negativ betroffen sind - finde ich. Ich mache keine Beispiele, um den Artikel nicht unnötig aufzublähen....
Ich denke aber, dass es einen Konsens geben muss darüber, welche Regeln insofern gut sind, weil sie unser Zusammenleben, oder sagen wir ein friedliches und möglichst sicheres Zusammenleben erst ermöglichen. z.B.: Stehen bleiben bei roter Ampel - Steuern zahlen für Aufgaben des Gemeinwohls - Alten Leuten im Zug einen Platz freimachen - Zahlen an der Coop Kasse - usw.
Eine interessante Frage ist ja, was das für uns bedeuten würde, wenn sich niemand an Regeln halten würde. Was würde das - modern ausgedrückt - "mit uns machen?" Nun, Du würdest allenfalls ins Krankenhaus gebracht, weil einer trotz roter Ampel mit dem Laster einfach weitergefahren ist und dich auf dem Velo erwischte... oder der Schulunterricht für Deine Kinder wäre miserabel, weil die Gemeinde keine Steuern bekommt usw.
Regeln sind oftmals Konsequenzen z.B. aus oft gemachten Erfahrungen. An einer unübersichtlichen Stelle gab es viele Unfälle - man senkt die max. Geschwindigkeit auf 50km/h statt 80km/h. Wer mit dem Sackmesser schnitzt sollte immer von sich wegziehen - ganz einfach weil es schon oft zu Verletzungen kam, wenn man gegen den Körper zieht und dann vielleicht plötzlich abrutscht und - Autsch!
Ich bin überzeugt, dass ein vernünftiges Mass an Regeln unser aller Leben schützt und vereinfacht. Allerdings funktioniert das ja nur, wenn wir uns auch daran halten und nicht denken "Sollen die anderen sich ruhig dran halten..."
Fehlinterpretation: Was (sehr) oft gut geht ist deswegen aber nicht einfach richtig!
Ist Dir das auch schon so gegangen, dass Du etwas lange Zeit gemacht hast und es ging immer gut, owohl Du genau wusstest, dass Du dabei ein Risiko eingegangen bist?
Nur, weil etwas oft gut gegangen ist, ist es noch ja noch lange nicht gut oder richtig! Du kannst also sagen "Rote Ampeln haben für mich keine Bedeutung mehr" und gehts oder rennst von nun an bei rot einfach weiter. Mit ein wenig Aufmerksamkeit und schnellen Beinen mag das ja sogar funktionieren - im besten Fall ein Leben lang. Dennoch ist eigentlich klar, dass man in erster Linie einfach Glück hatte dabei und es stellt sich die Frage: "Was löst so ein Verhalten aus?"
- Nachahmer (z.B. kleine Kinder)
- Irritationen und Fehler bei anderen VerkehrsteilnehmerInnen
- zuletzt Unfälle, vielleicht gar nicht bei Dir, aber anderen
Luftraumregeln schützen uns und vor allem auch die anderen
Damit sind wir nun beim Thema Luftraumregeln. Sie sind in der Regel einschränkend, in erster Linie aber beschützend, denn ohne sie käme es wohl zu vielen Unfällen und damit in aller Regel zu tragischen tödlichen Ereignissen. Werden die Luftraumgrenzen nicht respektiert löst das genau dasselbe aus, wie bei der roten Ampel...
- Nachahmer
- Irritation
- Unfälle
Nehmen wir an, Du ignorierst eine rote Ampel und ein voll besetzter Bus stürzt ein Bord hinab, weil der Busfahrer noch versuchte, den Zusammenstoss zu vermeiden... So oder noch viel schlimmer könnte das ausgehen, wenn ein Gleitschirm einen Unfall mit einem Linienflugzeug verursachen würde. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar sehr gering, aber welcher Linienpilot und welcher Passagier würde wohl sagen: "Na, die Wahrscheinlichkeit ist ja sehr gering, dass sowas passiert." Sie gehen davon aus, dass das nicht passiert, weil Ihr Leben davon abhängt.
Auch die anderen LuftverkehrsteilnehmerInnen spielen nicht freiwillig "russisch Roulett" - z.B. Helibesatzungen im Rettungseinsatz oder wie im obigen Fall die Piloten von Schleppmaschinen und die mitfliegenden FallschirmspringerInnen.
Eigentlich ist es allen klar und doch futtieren wir uns über die Folgen..
Und doch, obwohl uns das eigentlich alles klar ist, kommt es insbesonders bei GleitschirmernInnen sehr oft zu "luftraumtechnischen Blindflügen" oder gar zu bewusst einkalkulierten Luftraumverstössen. Luftraumverstössen, die das Vertrauen der anderen LuftraumteilnehmerInnen und der Behörden in die Kooperationsfähigkeit der Gleitschirmsportler untergräbt und damit in der Folge zu restriktiveren Regeln führen wird. Dabei profitieren wir gerade in der Schweiz von einem sehr hohen goodwill der übrigen Aviatiker und Behörden. Wir kennen in der Schweiz sehr viele Auszonungen für Flächen, die man extra für den Gleitschirmsport ausgezont hat.
Ausreden und Bequemlichkeiten...
finden sich zuhauf, werden Gleitschirmsportler auf Luftraumverstösse angesprochen. So auch im oben angesprochenen Artikel des SHV zu den Ereignissen vom 13.6.24. Kaum ein Pilot, der nicht zu einer Ausflucht greift, um sein (Fehl)verhalten zu begründen und damit letztlich zu einem bedauerlichen "Kavaliersdelikt" zu verbiegen.
Ausflüchte aber sind hier absolut fehl am Platz:
- Dein Gerät zeigt keine Lufträume?
- Dein Gerät hat veraltete Daten oder hat zufällig nicht aktualisiert?
- Du hast zufällig gerade nicht hingeguckt, als das Vario einen Warnton von sich gab...?
- Ach, in Italien kümmert sich niemand um den Luftraum...
Vergiss das alles ganz schnell - Du belügst Dich und andere. Dahinter steht ganz einfach, dass Du die Luftraumregeln nicht ernst nimmst und nicht verstanden hast oder nicht akzeptieren willst, warum sie eingehalten werden müssen! Im dümmsten Fall geht es nur darum, dass Du kein unnötiges Geld für ein besseres Fluginstrument ausgeben möchtest - dann suchst Du Dir vieleicht besser ein billigeres Hobby!
Tip
Wenn Du mit Deinem Fluggerät oder seiner Software nicht zufrieden bist kannst Du Dich z.B anhand des hier verlinkten Videos über die Möglichkeiten von XCTrack informieren. https://youtu.be/eQbg8BHNbiI?feature=shared
Schluss mit Ausreden und Ignoranz - wir brauchen eine Lösung!
Ein Flugschüler, oder eine Pilotin, die wirklich gerade mal einen Gleitflug im heimischen Gebiet beabsichtigt - da mag ein Fluginstrument ohne Luftraumdaten fehl am Platz sein, sofern klar ist, dass es keine besonderen Luftraumregelungen im Fluggebiet gibt.
Für alle anderen Piloten und Pilotinnen sehe ich eigentlich nur eines - zwingend mitzuführende digitale Sichtbarkeit über ein einheitliches System, das zumindest alle VFR Piloten erfasst. Dass so etwas mit einer rein schweizerischen Lösung zu wenig greift ist klar. Es muss ein europäisches System werden, wenn nicht letztlich ein weltweites.... Im letzten SwissGlider las ich davon, dass man dies diskutiert/entwickelt. Daran, dass diesem Thema mit Vernunft und gutes Zureden beizukommen ist glaube ich persönlich nicht mehr.
Ich muss sagen, auch auf der Seite des BAZL sehe ich Handlungsbedarf, ob uns das so richtig schmecken will oder nicht. Es kann nicht sein, dass ich bei einer Geschwindigkeitsübertretung auf der Strasse mit teils gravierenden Strafen rechnen muss, aber in der Luftfahrt bleibt es bei nicht geahndeten Selbstanzeigen. Aus meiner Sicht trägt das klar zu dem unentwegten Fehlverhalten von PilotenInnen bei.
Was denkst Du dazu? Hast Du eine andere Meinung, oder siehst Du Lösungsmöglichkeiten? Wenn Du magst, dann schreib mir deine Meinung auf melchior#myparaworld.ch
Erstpublikation: 4.10.24 (Anpassungen: 8.10.24, 13.10.24, 16.10.24)